Chronik
Elise und Célestin Freinet
Eine Vorstellung der Reformpädagogik des Ehepaars Freinet
Liebe Leser:in,
hier erfährst du, wie das Ehepaar Freinet die Grundpfeiler der Freinet-Pädagogik entwickelte. Die innovative Kraft dieser Pädagogik beflügelt uns bis heute. Freinet-Pädagogik ist brandaktuell.
Gemeinsam mit seiner Frau Élise begründete Célestin Freinet vor etwa 100 Jahren die Freinet-Pädagogik. Die Freinets entwickelten eine Pädagogik, die das Kind konsequent in den Mittelpunkt stellt. Unabhängig von Herkunft, gesellschaftlichem Status und Religion schufen sie für jedes Kind einen Raum, in dem es sich frei entfalten und mit Freude lernen konnte.
Die Freinets organisierten auch die Klassen als Kooperative. Die Lernenden bildeten einen Klassenrat, in dem jedes Kind eine Stimme hatte. Schüler:innen konnten sich ohne Zwang und Druck ihren Lernstoff selbst erarbeiten. Die Lernenden bestimmten selbst, was sie lernen wollten, mit wem sie zusammenarbeiteten und welche Zeit sie benötigten. In den Ecken der Klassenzimmer richteten Élise und Célestin Arbeitsbereiche mit passenden Materialien ein. Hier wurde in sogenannten Ateliers gearbeitet, geforscht und gelernt. Ihre Motivation war umfassend geprägt von der Idee einer demokratischen und gerechten Gesellschaft. Mit der pädagogischen und politischen Forderung „den Kindern das Wort geben“ bezogen die Freinets Stellung gegen die zeitgenössische autoritär geprägte Gesellschaft und Schule. Sie zeigten, dass es möglich ist, Lernprozesse so zu gestalten,
dass von Beginn an solidarisches Miteinander, Freiheit und Gleichheit verwirklicht werden. Daher ist das Kernstück der Freinet-Pädagogik der konsequente Einsatz für die Eigenständigkeit der Lernenden.
Die Freinets arbeiteten in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst an regulären Staatsschulen, an Dorfschulen, die in Südfrankreich in der Nähe Nizzas lagen. Hier entwickelten sie eine vollkommen andere Art des Lernens. Von Anfang an gehörte dazu, dass sie die Erneuerungen in Kooperation mit anderen Kolleg:innen planten und praktisch erprobten. Der lehrergelenkte Unterricht wurde Schritt für Schritt durch selbstbestimmtes Arbeiten der Schüler:innen ersetzt. Célestin und Élise entwickelten hierfür ein weit gefächertes Repertoire verschiedener Methoden. Immer wieder erforschten sie, wie das Kind selbsttätig zum Mittelpunkt des Lernens werden kann. Bestehende reformpädagogische Ansätze wurden übernommen und durch eigene Ideen erweitert. Das Ehepaar beobachtete auch an ihrer eigenen Tochter Madeleine, dass die kindliche Neugier, das Erkunden, Forschen und Ausprobieren bedeutsame und nachhaltige Lernerfolge erzielten.
Um die Reform zu stärken und zu verbreiten, gründeten die Freinets und viele Gleichgesinnte 1924 eine erste Kooperative, aus der die stetig wachsende französische Lehrer:innenbewegung der Ecole Moderne (Moderne Schule) hervorging.
Die Anschaffung einer Druckerpresse revolutionierte den Umgang mit Schrift und Sprache im schulischen Lernprozess. Schüler:innen verfassten Freie Texte, die sie anschließend gemeinsam druckten. Es entstanden Klassenzeitungen und Zeitungen mit relevanten Nachrichten für die gesamte Region. Auch die Arbeitsmittel wurden meistens in den eigenen Schuldruckereien von den Kindern selbst erstellt. Ein weiteres wichtiges Element war die Korrespondenz zwischen den einzelnen Gruppen und Klassen. Die Schüler tauschten Bücher, Klassenzeitungen und Arbeitsblätter aus. Dabei wurden Ergebnisse präsentiert und Fragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
1935 verließen Élise und Célestin nach harten Auseinandersetzungen mit der Schulbürokratie den öffentlichen Schuldienst und gründeten ein privates Landerziehungsheim in Vence (ebenfalls Südfrankreich), das als Experimentalschule bald ein bedeutender Ort praktischer pädagogischer Forschung wurde und es bis heute ist.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde 1947 eine Pädagogik-Kooperative für ganz Frankreich gegründet. Zehn Jahre später wurde die Internationale Vereinigung der Freinet-Bewegung ins Leben gerufen. Célestin Freinet setzte sich für einen grenzüberschreitenden Zusammenschluss von Lehrer:innen ein, um der Idee einer Erziehung zum Weltfrieden eine reale Grundlage zu schaffen. Die Verbreitung der Freinet-Pädagogik erstreckte sich nun über den gesamten romanischen Sprachraum bis hin nach Kanada und Lateinamerika, über Europa und sogar bis nach Japan. In Frankreich und Belgien werden Freinet-Schulen sogar staatlich gefördert.
Neben seiner praktischen Tätigkeit verfasste Célestin Freinet zahlreiche Schriften, die seine Erfahrungen eindrucksvoll widerspiegeln. Er schaffte so die Basis für ein Erziehungskonzept, das für alle „Erziehende“ (von frühkindlichem Lernen bis zur Erwachsenenbildung) geeignet ist. Die Freinet-Pädagogik ist ein Lernweg für alle Menschen.
Unser Verein, die Kooperative für Freinet-Pädagogik e.V., ist eine der größten Gruppierungen in der internationalen Freinet-Bewegung. Durch regelmäßige Fort- und Weiterbildungen sowie bundesweite und regionale Treffen werden die wertvollen Inhalte und Methoden weitergegeben. Alle engagierten „Freinis“ haben von der Gründung der Freinet-Pädagogik bis heute unsere wertvollsten Schätze im Blick: unsere Kinder.
Unsere 100-jährige Freinet-Chronik
Elise und Célestin Freinet – vom Leben und Wirken zweier südfranzösischer Reformpädagogen
Célestin Freinet wird am 15.10.1896 in dem südfranzösischen Dorf Gars als fünftes von sechs Kindern geboren. Seine Eltern sind Bauern und führen im Ort außerdem einen kleinen Laden. Freinet und seine Geschwister müssen von Kindheit an in der und für die Familie mitarbeiten. Freinet darf sogar die öffentliche Schule des Dorfes besuchen, das ist zu seiner Zeit ja nicht selbstverständlich!
Den sehr reglementierten Unterricht erlebt der aufgeweckte und freiheitsliebende Junge jedoch häufig als Qual.
Diese Erfahrungen prägen Anschauungen und Handeln Freinets ebenso wie seine enge Verbundenheit mit Natur, Land und Leuten.
1898 wird Élise Lagier-Bruno geboren. Freinet weiß da noch nicht, welche große Bedeutung diese Frau in seinem Leben haben wird
(Élise Freinet 1898 – 1983).
Er beginnt als 16-Jähriger (die Schulzeiten sind damals noch viel kürzer) ein Studium für den Lehrerberuf.
1915 muss er das Studium abbrechen, denn er wird (wie viele junge Männer seiner Generation) im Ersten Weltkrieg zum Militär eingezogen. Freinet ist da 19 Jahre alt!
Vor Verdun zieht er sich 1916 eine äußerst schwere Lungenverletzung zu und verbringt vier Jahre (!!!) in verschiedenen Lazaretten und Sanatorien.
Seine Kriegserfahrungen machen ihn zeitlebens zum überzeugten Pazifisten.
Die Zeit der Rekonvaleszenz nutzt Freinet, um sich pädagogisch und politisch fortzubilden. Es ist bekannt, dass er sich mit folgenden Autoren und ihren Konzepten besonders intensiv beschäftigt:
- Jean-Jaques Rousseau (1712 – 1778)
sieht alle Menschen als von Natur aus als gleich und frei - Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827)
gilt als Vorläufer der Anschauungspädagogik und der Reformpädagogik. Sein Ziel ist die ganzheitliche Volksbildung zur Stärkung der Menschen für das selbstständige und kooperative Wirken in einem demokratischen Gemeinwesen. - Adolphe Ferrière (1879 – 1960)
setzt sich für die Selbsttätigkeit des Schülers und dessen Mitverantwortung in einer „École active“ (aktiven Schule) ein. Die persönliche Erfahrung des Zöglings sieht er als Grundlage für dessen intellektuelle Erziehung und Bildung, Er befürwortet eine mitwirkende Handarbeit der Schüler im Sinne einer Arbeitsschule.
Auch mit den Schriften von Karl Marx (1818 – 1883) und Wladimir Iljitsch Lenin (1870 – 1924) setzt sich Freinet auseinander und zeigt damit sein Interesse an grundlegender Gesellschaftskritik.
1920 tritt Freinet seine erste Lehrerstelle in der kleinen, zweiklassigen Dorfschule für Jungen in Bar-sur-Loup (in der Nähe von Nizza) an. Hier entsteht nun eine andere Art des Lernens, als mehrere Kollegen sich zusammentun und versuchen, Unterricht gemeinsam zu verändern. Hier wird also das ins Leben gerufen, was wir heute „Freinet-Pädagogik“ nennen.
aus: „Lehrer und Schüler verändern die Schule“, Bilder und Texte zur Freinet-Pädagogik, zusammengestellt und kommentiert von Martin Zülch, Arbeitskreis Grundschule e.V., Frankfurt am Main, Materialvertrieb der Pädagogik-Kooperativen o.J., S.18
1923 kauft Freinet eine Druckpresse und lässt seine Schüler freie Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Bald entstehen daraus Klassenzeitungen. Die Praxis des freien Textes und der Schuldruckerei ersetzen allmählich die herkömmlichen Schulbücher und helfen, „den Kindern das Wort (zu) geben“. Die Druckerei wird zum Symbol der rasch wachsenden „Freinet-Bewegung“, die untereinander durch ein Netz von Kooperation, Korrespondenz sowie Treffen und Tagungen verbunden ist.
Freinet sucht intensiv Kontakt zu den progressiven pädagogischen Bewegungen in Europa. 1922 lernt er, als er an einem Kongress in Hamburg teilnimmt, Reformpädagogen aus Deutschland kennen.
Unter anderen waren dies:
- Hermann Lietz,
der sich vor allem für Landerziehungsheime engagiert - Paul Geheeb,
den Gründer der Odenwaldschule und - Peter Petersen,
dessen Jena-Plan das Lernen im traditionellen Klassenverband durch ein stärker selbstgesteuertes Lernen in arbeitenden Gruppen und Projekten ersetzt.
Bei den Initiatoren der Hamburger Schulreform findet er auch Vorläufer seiner späteren eigenen Ansichten und Methoden:
die „Pädagogik vom Kinde aus“, den „freien Aufsatz“, die Perspektive auf die „schöpferischen Kräfte des Kindes“.
Mit einem Kollegen aus Trégunc (Bretagne) organisiert Freinet 1924 die erste zwischenschulische Korrespondenz.
Durch den regelmäßigen Austausch erweitert sich der Erfahrungshorizont der Kinder: Ihre Sprache und Schrift werden für sie zu einem lebendigen Kommunikationsmittel auch über Entfernungen hinweg.
Im gleichen Jahr gründen Freinet und viele Gleichgesinnte eine „Kooperative“, die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und Materialien herausgibt („Coopérative de l’Enseignement Laïc“, C.E.L.), aus der allmählich die französische Lehrer:innenbewegung der „Ecole Moderne“ hervorgeht.
Die Bezeichnung „Moderne Schule“ ist bewusst gewählt. Freinet will als Person nicht im Mittelpunkt stehen, sondern das Ziel, das alle gemeinsam anstreben, hervorheben: Schule von innen heraus umzugestalten.
Klare politischen Absichten unterscheiden diese Bewegung von anderen reformpädagogischen Strömungen, denn sie strebt emanzipatorische Ziele an und ergreift Partei für die Kinder der Unterprivilegierten.
Freinet selbst arbeitet aktiv in der Gewerkschaft und wird sogar Mitglied der Französischen Kommunistischen Partei (die er 1948 aber wieder verlässt, da seine pädagogischen Absichten und die der Partei sich nicht vereinbaren lassen.)
1926 heiratet Célestin Freinet die Lehrerin und Holzschnittkünstlerin Élise Lagier Bruno (1898 – 1983). Sie wird Zeit seines Lebens seine engste Mitarbeiterin. Für ihre Holzschnitte erhielt Élise 1927 den „Prix Gustave Dore“, benannt nach einem berühmten Illustrator des 19. Jahrhunderts. Unter ihrem Mädchennamen illustriert sie Freinets Broschüre „Un mois avec les enfants russes“ über seine Russland-Reise (1925) und kreiert auch das Signet für die Kooperative.
Im Jahr 1929, wird ihre einzige Tochter Madeleine, genannt Balouette, geboren (Madeleine Freinet 1929 – 2007). Intensive Beobachtungen ihrer Tochter bilden die Grundlage für die Entwicklung der „Natürliche Methode“ zum Schreiben- und Lesenlernen.
Der kreativ- künstlerische Aspekt innerhalb der „Ecole Moderne“ wird Élise Freinet zugeschrieben. In zahlreichen Aufsätzen setzt sie sich mit der Einführung in die Kunst, Kinderzeichnungen und Kinderliteratur auseinander. Den Schwerpunkt innerhalb der Schularbeit bilden für sie die Künste und der „Freie Ausdruck“. So spielt sie mit den Kindern Theater und lehrt sie Malen.
Sie spricht als erste von „dessin libre“ (Freier Zeichnung), noch bevor Célestin den Ausdruck „texte libre“ (Freier Text) verwendet.
1927 findet der erste Kongress der „Ecole Moderne“ statt. Die „Kooperative“ vertreibt Druckereien, Arbeitskarteien, „Nachschlagekiste“ und Lesehefte – Arbeitsmittel, die nun endgültig die Schulbücher verdrängen und selbstorganisierte „Freie Arbeit“ ermöglichen.
Freinet und seine Frau wechseln 1928 nach St. Paul de Vence an eine Schule, an der beide unterrichten können. Célestin führt die Schallplatte als Medium in den Unterricht ein.
Die wachsende pädagogische Bewegung stellt die die Grundlagen der bestehenden Schule in Frage. Das führt zu heftigen Konflikten mit der Schulbürokratie.
Schüler Freinets berichten 1932 in einem freien Text über ein kirchliches Fest, bei dem der Pfarrer betrunken gewesen sein soll. Daraufhin bricht ein offener Schulkampf aus, der sich bald zu einer umfassenden schulpolitischen Auseinandersetzung auf nationaler Ebene entfaltet.
Im Hintergrund dieses Konflikts steht die politische Einstellung von Élise und Célestin Freinet. Auf Grund der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei wird ihnen sogar Spionage für die UdSSR unterstellt.
1935 verlassen Élise und Célestin den öffentlichen Schuldienst und gründen ein privates Landerziehungsheim in Vence, das als Experimentalschule bald ein bedeutender Ort praktischer pädagogischer Forschung wird.
Im Zentrum der Schule steht die sinnvolle, schöpferische und das Kind entfaltende Arbeit.
Politisches und humanitäres Engagement zeigen die Freinets, als sie dort Kinder, deren Eltern im spanischen Bürgerkrieg ermordet worden sind und später auch elternlos gewordene jüdische Kinder aus Deutschland, aufnehmen.
1940 wird Célestin Freinet auf Betreiben des Vichy-Regimes verhaftet und in ein Internierungslager gebracht. Ihm wird kommunistische Propaganda und Subversion vorgeworfen.
Er verfasst in dieser Zeit grundlegende pädagogische Arbeiten, die er 1946 unter dem Titel „L‘ École Moderne Française“ („Die moderne französische Schule“) veröffentlicht.
Die Vichy-Regierung verfügt über die Schließung der Schule in Vence.
1943 wird Freinet aus dem Lager entlassen, aber unter Polizeiaufsicht gestellt.
Ab da spielt Freinet eine wichtige Rolle im südfranzösischen Widerstand (Résistance) gegen die deutschen Besatzer.
Während des Zweiten Weltkrieges wird die Schule in Vence zerstört, nach 1944 aber wieder aufgebaut und 1946 erneut eröffnet.
Im Jahr 1947 wird in Frankreich die Pädagogik-Kooperative I.C.E.M. (Institut Coopératif de l’École Moderne) gegründet.
Die internationale Freinet-Bewegung entsteht
1957 wird die Internationale Vereinigung der Freinet-Bewegung F.I.M.E.M. (Fédération Internationale des Mouvements de l’École Moderne) zur weltweiten Verbreitung der Reformbewegung ins Leben gerufen.
Freinet setzt sich für einen grenzüberschreitenden Zusammenschluss von Lehrer:innen ein, um der Idee einer Erziehung zum Weltfrieden eine reale Grundlage zu verschaffen.
In Pau entsteht im Jahr 1968 auf einem Kongress der FIMEM die „Charte de École Moderne“. Diese wird zum Grundsatz-Papier der internationalen Freinet-Bewegung.
Im Abstand von zwei Jahren findet seit 1968 ein internationales Freinet-Treffen statt, das jeweils von einem Mitgliedsland durchgeführt wird.
Verbreitung der Freinet-Pädagogik:
1965 wird in Brest der letzte Kongress abgehalten, den Freinet noch selbst miterlebt. Célestin stirbt am 8. Oktober 1966 in Vence.
Nach dem Tod ihres Ehemanns übernimmt Élise Freinet die Verantwortung für die Freinet-Pädagogik. 1977 veröffentlicht sie das Buch „L’itinéraire de Célestin Freinet“, in dem sie das Lebenswerk ihres Ehemannes beschreibt.
Die familiären Umstände und Kriegswirren führen dazu, dass die Tochter Madeleine Freinet (1929 – 2007) nie die höhere Schule besucht und so später nach dem Tod ihrer Mutter (1983) die Schule in Vence nicht leiten kann. Die Leitung übernimmt deshalb ihr Mann Jacques Bens, der selbst Schüler der „École Freinet“ war.
Die „Ecole Freinet“ existiert noch heute. Seit September 1991 hat sie den Status einer „Ecole publique“ und befindet sich als einzige Grundschule Frankreichs in Trägerschaft des Staates (normalerweise unterliegen die Grundschulen den Kommunen). Ihr angegliedert ist eine „Classe d’école maternelle“. Die „Ecole Freinet“ ist nicht Regelschule der Region, sondern von den Eltern frei wählbar – ein Zugeständnis des Staates an die „Ecole Freinet“.
Unsere Vereinsgeschichte
Ein kleiner Kreis von Lehrer:innen und Lehramtsstudent:innen aus dem Raum Freiburg bekommt Kontakt zu praktizierenden Freinetpädagog:innen im nahen Elsass. Sie sind begeistert, von dem, was sie dort vor Ort sehen.
Sie drehen sogar einen Film (im damals verbreiteten Super 8-Format): „Lehrer und Schüler verändern die Schule“. Alle sind fasziniert von der Offenheit in den Klassen. Die Kinder arbeiten in den Ateliers, in denen ihre Hände und Sinne angesprochen werden. Der Werkstattcharakter ist nicht auf das Künstlerische beschränkt, sondern ist in die ganze Lernarbeit integriert.
An einer irgendeiner Stelle fängst du an, dich mit etwas zu beschäftigen – dabei entdeckst du etwas, was du klären willst. Du fängst an zu untersuchen, findest Antworten … dabei entsteht ein Lernprozess. Das ist das Prinzip, was meinen Unterricht am stärksten prägt, was ich am meisten betone. Zwar gebe ich Anstöße, manchmal erkläre ich auch Aufgaben, aber im besten Fall wird ein Arbeitsprozess von einem Schüler oder einer Gruppe angefangen, der sich dann irgendwohin entwickelt. Dabei finden sie etwas heraus, was ich auch nicht kenne, wo ich drauf reagieren muss: da findet eine Auseinandersetzung zwischen mir und den Schüler:innen statt, so dass der Prozess weitergeht.
Jochen Zülch in: „25 Jahre Freinet-Kooperative“, FuV Nr. XX, S. XX
Eine Gruppe junger Lehrer:innen und Hochschulangehöriger entfaltet zahlreiche publizistische Aktivitäten, organisiert Informationsveranstaltungen, erste bundesweite Treffen und gründet regionale Lehrer:innengruppen. Der persönliche Kontakt und die gegenseitige Unterstützung spielen von Anfang an eine große Rolle.
Am 4.1.1976 wird die Pädagogik-Kooperative in Osterrade / Kreis Dithmarschen gegründet. 12 Menschen sind dabei.
Der Name „Pädagogik-Kooperative“ soll zum Ausdruck bringen, dass neben der Orientierung an Freinet auch andere reformpädagogische Strömungen willkommen sind.
Seit 1976 gibt es die Zeitschrift „Fragen und Versuche“ (FuV). Viermal im Jahr tauschen sich darin bis heute Freinet-Pädagog:innen über ihre Praxis, über bildungspolitische Themen und vereinsinterne Fragen aus. Die ersten beiden Ausgaben erscheinen noch unter dem Titel „Lehrerglück“.
Die Freinet-Bewegung konzentriert sich in ihren Anfängen auf die Institution Schule. Das liegt daran, dass die in ihr organisierten Menschen zunächst ausschließlich Lehrer:innen sind. Es sind vor allem Grund- und Hauptschullehrer:innen, die das Potential einer umfassenden Veränderung des Lernens und Lehrens für ihre eigene Praxis erkennen. Mit Erweiterung der Bewegung kommen auch Lehrer:innen aller anderen Schulformen und aus Universitäten dazu.
Es entwickelt sich von Anfang an eine rege Treffens-Kultur in der Pädagogik-Kooperative: Örtliche und regionale Treffen, bundesweite Sylvester-Treffen und bundesweite Pfingst-Treffen.
Im Mittelpunkt stehen Ateliers, Werkstätten und die Selbstorganisation. Alle Teilnehmenden legen die Formen und Inhalte ihres Austausches an Ort und Stelle fest.
Wesentliche Bestandteile sind Plenen aller Beteiligten und Präsentationen aus den Ateliers sowie Werkstätten und das gemeinsame Feiern.
Zwischen 1980 und 1984 entsteht in Bremen eine hauptamtlich besetzte Geschäftsstelle mit einem Zweckbetrieb, der die in der Bewegung erarbeiteten Unterrichtsmaterialien verlegt und vertreibt.
1997 wird der Zweckbetrieb geschlossen. Die Entwicklung auf dem Markt für Schulbücher und die beginnende Digitalisierung führen dazu, dass der Vertrieb der eigenen Materialien nicht mehr rentabel ist.
Im Rahmen der Diskussion um frühkindliche Bildung wird die Bedeutung der Freinet-Pädagogik auch für das Lernen in Kindertagesstätten erkannt. Die Bewegung erweitert sich und richtet ihren Blick auf das „Lebenslange Lernen“ nach und mit Freinet. Viele Erzieher:innen und Leiter:innen von Kindertagesstätten treten in die Freinet-Kooperative ein.
1999 findet in Bremen das erste Freinet-Symposion statt. Hier werden in einer mehrtägigen Veranstaltung Theorie und Praxis auf freinetische Weise verbunden. Ein grundlegendes Element der Symposien sind auch gegenseitige Hospitationen, die zeitnah durchgeführt werden. Seitdem findet alle 2 Jahre ein Symposion statt. Die Aktivitäten ranken sich immer um ein aktuelles bildungspolitisches Thema.
Zu Beginn des Jahrtausends wird die „Pädagogik-Kooperative“ in „Freinet-Kooperative“ umbenannt, um von außen eindeutig erkennbar zu sein.
2004 geht die erste Homepage der Freinet-Kooperative online.
In den Kanon der bestehenden Veranstaltungen reihen sich thematisch festgelegte, eintägige sogenannte Fachtage ein. Hier treffen sich Pädagog:innen, die speziell in diesem Themenbereich arbeiten und sich austauschen wollen (z.B: „Schule im Brennpunkt“ oder „Demokratie in der Kindertagesstätte“).
2008 -2010 findet die erste Weiterbildung zur Freinet-Pädagogik unter dem Titel „Adler steigen keine Treppen“ statt. Sie besteht aus 6 fünftägigen Bausteinen und hat jeweils einen festen Kreis von Teilnehmer:innen. Hier führen erfahrene Freinet-Pädagog:innen in die wesentlichen Elemente der Freinet-Pädagogik ein.
2013 zieht die Geschäftsstelle der Freinet-Kooperative in das Tagungshaus „Mikado“ um. Die Aufgaben der Geschäftsführung werden seitdem über eine Kooperationsvereinbarung vom „Verein für ganzheitliches Lernen e.V.“ wahrgenommen.
Seit der ersten Weiterbildungsdurchgang finden noch weitere sieben Durchgänge der Weiterbildungen und Symposien statt.
Eine Weiterbildung 2 „Vom Knoten zum tragenden Netz“, die die erfolgreiche Weiterbildung 1 fortsetzen soll, wird entwickelt und geplant.
2020 und 2021 versetzt Corona unsere gemeinsamen Aktivitäten, Fortbildungen, Weiterbildungen und Treffen in den zeitweiligen Ruhestand. Die Zeit wird genutzt, um die digitale Entwicklung innerhalb der Freinet-Kooperative voranzutreiben.
Anfang 2022 findet erstmalig mit großer Beteiligung die erste digitale Mitgliederversammlung statt.
Ein neuer Vorstand wird gewählt, die Erneuerung der Homepage beschlossen. Die „Freinet-Kooperative“ in „Kooperative für Freinet-Pädagogik e.V.“ umbenannt, um die Wörter „Pädagogik“ und „Freinet“ im Vereinsnamen in einen direkten Zusammenhang zu bringen. Der Gedanke der „Kooperative“ im Namen soll weiterhin den Grundgedanken des Zusammentreffens und Zusammenarbeitens darstellen.
Für das Jahr 2023 ist nach dem Online-Start der neuen Homepage mit neuen Angeboten wie den Online-Ateliers eine Wiederaufnahme der Weiterbildung in der „Nach-Corona“-Zeit geplant.