Chronik

Elise und Célestin Freinet

Eine Vorstellung der Reformpädagogik des Ehepaars Freinet

Liebe Leser:in,

hier erfährst du, wie das Ehepaar Freinet die Grundpfeiler der Freinet-Pädagogik entwickelte. Die innovative Kraft dieser Pädagogik beflügelt uns bis heute. Freinet-Pädagogik ist brandaktuell. 

Gemeinsam mit seiner Frau Élise begründete Célestin Freinet vor etwa 100 Jahren die Freinet-Pädagogik. Die Freinets entwickelten eine Pädagogik, die das Kind konsequent in den Mittelpunkt stellt. Unabhängig von Herkunft, gesellschaftlichem Status und Religion schufen sie für jedes Kind einen Raum, in dem es sich frei entfalten und mit Freude lernen konnte.

Die Freinets organisierten auch die Klassen als Kooperative. Die Lernenden bildeten einen Klassenrat, in dem jedes Kind eine Stimme hatte. Schüler:innen konnten sich ohne Zwang und Druck ihren Lernstoff selbst erarbeiten. Die Lernenden bestimmten selbst, was sie lernen wollten, mit wem sie zusammenarbeiteten und welche Zeit sie benötigten. In den Ecken der Klassenzimmer richteten Élise und Célestin Arbeitsbereiche mit passenden Materialien ein. Hier wurde in sogenannten Ateliers gearbeitet, geforscht und gelernt. Ihre Motivation war umfassend geprägt von der Idee einer demokratischen und gerechten Gesellschaft. Mit der pädagogischen und politischen Forderung „den Kindern das Wort geben“ bezogen die Freinets Stellung gegen die zeitgenössische autoritär geprägte Gesellschaft und Schule. Sie zeigten, dass es möglich ist, Lernprozesse so zu gestalten,
dass von Beginn an solidarisches Miteinander, Freiheit und Gleichheit verwirklicht werden. Daher ist das Kernstück der Freinet-Pädagogik der konsequente Einsatz für die Eigenständigkeit der Lernenden.

Die Freinets arbeiteten in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst an regulären Staatsschulen, an Dorfschulen, die in Südfrankreich in der Nähe Nizzas lagen. Hier entwickelten sie eine vollkommen andere Art des Lernens. Von Anfang an gehörte dazu, dass sie die Erneuerungen in Kooperation mit anderen Kolleg:innen planten und praktisch erprobten. Der lehrergelenkte Unterricht wurde Schritt für Schritt durch selbstbestimmtes Arbeiten der Schüler:innen ersetzt. Célestin und Élise entwickelten hierfür ein weit gefächertes Repertoire verschiedener Methoden. Immer wieder erforschten sie, wie das Kind selbsttätig zum Mittelpunkt des Lernens werden kann. Bestehende reformpädagogische Ansätze wurden übernommen und durch eigene Ideen erweitert. Das Ehepaar beobachtete auch an ihrer eigenen Tochter Madeleine, dass die kindliche Neugier, das Erkunden, Forschen und Ausprobieren bedeutsame und nachhaltige Lernerfolge erzielten.

Um die Reform zu stärken und zu verbreiten, gründeten die Freinets und viele Gleichgesinnte 1924 eine erste Kooperative, aus der die stetig wachsende französische Lehrer:innenbewegung der Ecole Moderne (Moderne Schule) hervorging.

Die Anschaffung einer Druckerpresse revolutionierte den Umgang mit Schrift und Sprache im schulischen Lernprozess. Schüler:innen verfassten Freie Texte, die sie anschließend gemeinsam druckten. Es entstanden Klassenzeitungen und Zeitungen mit relevanten Nachrichten für die gesamte Region. Auch die Arbeitsmittel wurden meistens in den eigenen Schuldruckereien von den Kindern selbst erstellt. Ein weiteres wichtiges Element war die Korrespondenz zwischen den einzelnen Gruppen und Klassen. Die Schüler tauschten Bücher, Klassenzeitungen und Arbeitsblätter aus. Dabei wurden Ergebnisse präsentiert und Fragen der Korrespondenzklassen beantwortet.

1935 verließen Élise und Célestin nach harten Auseinandersetzungen mit der Schulbürokratie den öffentlichen Schuldienst und gründeten ein privates Landerziehungsheim in Vence (ebenfalls Südfrankreich), das als Experimentalschule bald ein bedeutender Ort praktischer pädagogischer Forschung wurde und es bis heute ist.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde 1947 eine Pädagogik-Kooperative für ganz Frankreich gegründet. Zehn Jahre später wurde die Internationale Vereinigung der Freinet-Bewegung ins Leben gerufen. Célestin Freinet setzte sich für einen grenzüberschreitenden Zusammenschluss von Lehrer:innen ein, um der Idee einer Erziehung zum Weltfrieden eine reale Grundlage zu schaffen. Die Verbreitung der Freinet-Pädagogik erstreckte sich nun über den gesamten romanischen Sprachraum bis hin nach Kanada und Lateinamerika, über Europa und sogar bis nach Japan. In Frankreich und Belgien werden Freinet-Schulen sogar staatlich gefördert.

Neben seiner praktischen Tätigkeit verfasste Célestin Freinet zahlreiche Schriften, die seine Erfahrungen eindrucksvoll widerspiegeln. Er schaffte so die Basis für ein Erziehungskonzept, das für alle „Erziehende“ (von frühkindlichem Lernen bis zur Erwachsenenbildung) geeignet ist. Die Freinet-Pädagogik ist ein Lernweg für alle Menschen.

Unser Verein, die Kooperative für Freinet-Pädagogik e.V., ist eine der größten Gruppierungen in der internationalen Freinet-Bewegung. Durch regelmäßige Fort- und Weiterbildungen sowie bundesweite und regionale Treffen werden die wertvollen Inhalte und Methoden weitergegeben. Alle engagierten „Freinis“ haben von der Gründung der Freinet-Pädagogik bis heute unsere wertvollsten Schätze im Blick: unsere Kinder.

Ein Film über Freinet

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